Schumann und die Sinfonie (16.07.2006)

Welt am Sonntag, 16.07.2006, Nr. 29, S. 52

Ressort: KULTUR

Jan Brachmann

Schumann gilt vor allem als Klavierkomponist. Doch 150 Jahre nach seinem Tod interessieren sich immer mehr Dirigenten für die Orchesterwerke.

Ein deutsches Mißverständnis: Robert Schumann und die Sinfonie

Zeit, dass sich was dreht - ob Herbert Grönemeyer es gemerkt hat? Seine Fußball-Hymne ist das Lied zum Schumann-Jahr 2006. 24 Jahre ist es her, daß Grönemeyer als Robert Schumann vor der Kamera stand, an der Seite von Nastassja Kinski und Rolf Hoppe, in Peter Schamonis Film "Frühlingssinfonie". Es hat sich was gedreht seitdem, oder besser: Es dreht sich - kurz vor Schumanns 150. Todestag am 29. Juli - immer noch. Schumann ist für viele Dirigenten zum interessantesten Sinfoniker des 19. Jahrhunderts geworden.

Wer sich als Interpret mit Neuem profilieren will und trotzdem sein Publikum nicht verlieren möchte, der wendet sich jetzt Schumanns Orchestermusik zu. Das ist neu, denn in den letzten 150 Jahren wurde an Schumann ständig herumgemäkelt. Er sei bestenfalls ein genialer Miniaturist, hieß es immer wieder. Man schätzte seine Klavierzyklen, seine Liederkreise. Das Fragmentarische, kaleidoskopisch Zersplitterte habe ihm gelegen. Aber für die großen Formen, für Oper und Sinfonie, da war er eben nicht Manns genug.

Friedrich Nietzsche lästerte 1886, Schumann hätte im Grunde nur einen kleinen Geschmack besessen mit "Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls", Schumanns Musik wäre nur noch ein deutsches Ereignis, kein europäisches mehr. Vor allem aber übten die Praktiker Kritik. Das Urteil des Dirigenten Felix Weingartner wird seit hundert Jahren nachgebetet: Schumann habe nicht verstanden, für das Orchester zu komponieren. Um Kraft und Fülle zu erzielen, verdoppelte er häufig die einzelnen Stimmen von Bläsern in den Streichern und umgekehrt. "Daher ist die Klangwirkung dickflüssig und ungelenk, die Farbe Grau in Grau, die wichtigsten Stimmen sind, spielt man genau nach seinen Angaben, mitunter nicht herauszuhören."
In den vergangenen Jahren sind mehrere Dirigenten von Rang angetreten, dieses Urteil zu widerlegen. Marek Janowski stellte mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) vor vier Jahren alle sinfonischen Werke Schumanns an mehreren Abenden neu zur Diskussion. Dieser Schumann, aus dem Geist Haydns begriffen, war nicht dumpf und bräsig. Nein, er hatte plötzlich Esprit, Glanz und Witz. Und da Janowski ein Perfektionist ist, ließ er es nicht bei diesem Großevent bewenden. Er arbeitete mit seinem Orchester weiter. Wenn er und das RSB am 2. September beim Musikfest Berlin 06, der Leistungsschau der weltbesten Orchester auftreten, steht Schumanns vierte Sinfonie wieder auf dem Programm.

Auch Daniel Barenboim hat sich mit der Staatskapelle Berlin alle vier Schumann-Sinfonien erarbeitet. Das Ergebnis ist vor zwei Jahren bei Teldec auf CD erschienen. Doch der Live-Eindruck war hier - wie oft bei Barenboims Dirigaten - um vieles stärker. Man erlebt ein Stück von umwerfender Virtuosität, besonders im Scherzo der Sinfonie. Hier wird aggressiv artikuliert, und der revolutionäre Sturm des Vormärz fegt durchs Orchester.

David Zinman hat mit seinem Tonhalle Orchester Zürich zur gleichen Zeit alle vier Schumann-Sinfonien auf CD aufgenommen (Arte Nova). Dieser intelligente wie charismatische Dirigent durchschaut die Konstruktion von Schumanns Musik genau, aber er verwandelt seine analytischen Erkenntnisse in fast körperlich spürbare Energie. Und wer einmal gehört hat, wie das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Kent Nagano Schumanns Vierte spielt, der weiß, daß Schumann in seiner Orchestermusik nichts von der Radikalität seiner frühen Klavierzyklen eingebüßt hat: Hier wie dort versetzt er das Karussell der Stimmen in Bewegung, daß die Einheit des Tonsatzes auseinanderzufliegen droht.

Es ist kein Zufall, daß Schumann-Pioniere wie Janowski, Barenboim und Nagano mehrere Jahre in Frankreich verbracht haben. Während man in Deutschland glaubt, Schumann sei als Sinfoniker folgenlos geblieben, zeigte sich Frankreich früh beeindruckt von seinen Experimenten, die Sätze einer Sinfonie durch ein gemeinsames Motto oder motivische Keimzellen miteinander zu verbinden. Und auch in Rußland hat Schumann Schule gemacht. Tschaikowsky, der größte Schumann-Verehrer des 19. Jahrhunderts, hat die Technik der zyklischen Verknüpfung aller Sinfonie-Sätze durch ein gemeinsames Motto selbst eindrucksvoll gehandhabt. In einem Zeitungsartikel behauptete Tschaikowsky 1871 sogar, "daß die Musik der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts als eine Periode in die Geschichte der Kunst eingehen wird, die spätere Generationen als die Schumannsche bezeichnen werden". Nur die Deutschen haben das lange nicht begriffen. Schumann - ein rein deutsches Ereignis: Das ist ein deutsches Mißverständnis. Zeit, daß sich was dreht.

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