Julie Schumanns Hochzeit, 22. September 1869, Baden-Baden

Die Schwester erinnert sich doch richtig!
Vor 150 Jahren heiratete Julie Schumann in der Lichtentaler Klosterkirche

Am 22. September 1869, mittags um 12.00 Uhr, heiratete Julie, die schönste der vier Schumann-Töchter, in der Kirche der Cistercienserinnen-Abtei Lichtental (heute Baden-Baden) den aus einem alteingesessenen piemontesischen Adelsgeschlecht stammenden Grafen Vittorio Radicati di Marmorito, wie ihre jüngere Schwester Eugenie Schumann in ihren »Erinnerungen« anschaulich erzählt. Die Klosterkirche lag ganz in der Nähe von Clara Schumanns Lichtentaler Sommerhaus, in dem die Festgemeinde im Anschluss an die Trauzeremonie in der Kirche zu einem opulenten Frühstück zusammentraf. Danach musste Abschied genommen werden, da Julie ihrem Mann nach Turin auf dessen Schloss Passerano folgte.

Wegen eines Trauerfalls in der gräflichen Familie musste die ursprünglich für Anfang September geplante Hochzeit verschoben werden. Die vorgesehenen Festivitäten nebst Champagner und Polterabend wurden abgesagt, weil Vittorio um eine „ganz stille Hochzeit“ bat, wie sie dann auch stattfand.

1996 entdeckte ein Forscherehepaar im Kirchenbuch der katholischen Pfarrkirche St. Bonifatius Lichtental/Baden-Baden von 1869 den Traueintrag der gräflichen Hochzeit, der als Trauzeugen u.a. einen Komponisten „Schrams“ aus Baden anführt. Dabei handelt es sich um niemand anderen als Johannes Brahms, der wegen seiner eigenen, allerdings nur heimlich gepflegten Zuneigung zu Julie Schumann nicht besonders erbaut über die Hochzeit und vor allem die Tatsache war, dass er als Trauzeuge auftreten sollte. Er nuschelte seinen Namen in der Kirche daher wohl gewollt undeutlich, weshalb der die Trauung vollziehende Pfarr-Verweser (einen Pfarrer gab es erst später in der Bonifatius-Kirche) ihn nicht richtig verstehen konnte.

Die Traukirche wird korrekt als „hiesige Pfarrkirche“ bezeichnet, denn als solche fungierte die Lichtentaler Klosterkirche, bevor 1869 nach mehrjähriger Bauzeit die Kirche St. Bonifatius fertiggestellt war, die Kirchenbücher der Klosterkirche übernahm und weiterführte.

In Unkenntnis des Weihedatums der Bonifatius-Kirche interpretierte man den Traueintrag dahingehend falsch, dass Julie Schumann und ihr Graf dort getraut worden seien, sich die Schwester Eugenie also in ihren Erinnerungen täusche. Eugenie erinnerte sich aber vollkommen richtig, zumal sich dieses Ereignis – eine katholische Trauung in einer rein protestantischen Familie, bei der die Schwester auch noch Gräfin wird – doch fest in ihr Gedächtnis eingebrannt haben dürfte.

St. Bonifatius jedenfalls wurde erst am Sonntag, den 26. September 1869 geweiht, was einen Tag später durch Erzbistumsverweser Lothar von Kübel mit einem Einweihungsgottesdienst nochmals gefeiert wurde.

Also einige Tage zu spät, als dass die gräfliche Trauung dort hätte stattfinden können, die niemals in einer ungeweihten Kirche zelebriert worden wäre!

(Irmgard Knechtges-Obrecht, Sommer 2019)