Marie Pleyel (1811–1875)

Marie Pleyel, 1839 (Lithographie, vgl. StadtMuseum Bonn, SMB 2018/412)

Die Pianistin, Klavierpädagogin und Komponistin Marie Pleyel geb. Moke erhielt ab ihrem vierten Lebensjahr Klavierunterricht bei Jacques Herz, später bei Ignaz Moscheles und Friedrich Kalkbrenner. 1825 gab sie erste öffentliche Konzerte in Brüssel, Gent und Paris. Bereits 1830 unterrichtete sie Klavier an dem Mädchenpensionat „Institut orthopédique“ in Paris, wo u.a. auch Ferdinand Hiller und Hector Berlioz zu der Zeit lehrten. 1830 war sie kurzzeitig mit Berlioz verlobt, heiratete 1831 aber den Pianisten und Klavierfabrikanten Camille Pleyel (1788–1855), mit dem sie zwei Kinder hatte, Henry (1832–1853) und Louise (1833–1856). Während ihrer vierjährigen Ehe setzte sie ihre Unterrichtstätigkeit fort und trat auch in den Pariser Salons auf sowie in dem Konzertsaal „Salle Pleyel“ der Klavierfirma ihres Mannes. Nach der Trennung 1835 zog sie vorübergehend nach Hamburg, wo sie auch mehrmals öffentlich auftrat. 1836 bis 1838 zog sich Marie Pleyel aus der Öffentlichkeit zurück, um sich musikalisch weiterzubilden. Ihre zahlreichen und erfolgreichen Konzertreisen führten sie bis 1874 durch ganz Europa; über Paris, London, St. Petersburg, Wien, Leipzig, Dresden, Berlin und Bonn, um nur einige Städte zu nennen. Ihren Lebensmittelpunkt bildete ab 1841 Brüssel, hier lehrte sie von 1848 bis 1872 am „Conservatoire Royal“.

In Konzertkritiken wurde ihre brillante Technik, ihr klares und gleichzeitig poetisches Spiel gerühmt, auch das Publikum schwärmte von ihr und war durch ihre, ihr in zeitgenössischen Rezensionen und auch Lexikon-Artikeln zugeschriebene, Anmut und Schönheit entzückt. Liszt, Chopin, Kalkbrenner und weitere Komponisten widmeten ihr Werke, der Pianist Antoine Marmontel (1816–1898) würdigte sie folgendermaßen: „Ihre Interpretation besaß die Klarheit Kalkbrenners, die erlesene Sensibilität Chopins, die durchgeistigte Eleganz von Herz, den schönen und kräftigen Klang Thalbergs und den hinreißenden Schwung von Liszt.“ (zit. nach Mayer-Heimel, S. 5).

Auch Robert Schumann rühmte die Pianistin, wenngleich er ihre Komposition, die Große Fantasie über Themen aus Carl Maria von Webers „Preciosa“, weniger interessant fand: „Mad. Pleyel trug es [das Konzertstück op. 79 von Weber] äußerst glücklich vor und mit derselben warmen Leidenschaft, mit der sie alle Musik auszustatten scheint. So hatte sich auch im Publicum bald jene freudige mittheilende Stimmung verbreitet, wie sie nur nach Genuß und Wechselwirkung von Meisterwerk und Meisterspiel aufkommen kann. Von dem Stück, mit dem die Künstlerin den reichen Musikabend schloß, wünschten wir das Gleiche sagen zu können; doch blieb hier das Geschick des schaffenden Talentes hinter dem ausübenden offenbar zurück, es war eine Composition der Virtuosin, in der wir, selbst was aus Themen von Weber dazu genommen war, schöner gesetzt und bearbeitet wünschten. Doch war gerade hier der Beifall so rauschend, daß sie wiederholen mußte.“ (Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 170). Schumann selbst war aber durchaus von ihrer Erscheinung entzückt, an Clara Wieck schrieb er im November 1839, Marie Pleyel sei „doch eine Künstlerin in Allem, was sie thut und spricht. Dabei hat sie die Gewohnheit das linke Auge zuzudrücken manchmal, und mit dem andern wunderschönen in die Höhe zu bliken [sic], was Einem ganz den Athem versetzen kann, so hold sieht es.“ (zit. nach Schumann-Briefedition, S. 387).

Bei all diesen begeisterten Stimmen wundert es nicht, dass Clara Schumann in Marie Pleyel, vor allem um 1838/39, eine Konkurrentin und „Angstgegnerin“ (Klassen 2009, S. 149) sah, zumal sie für ganz ähnliche Fertigkeiten, nämlich technische Brillanz in Verbindung mit einem poetischen Vortrag, gelobt wurde und ebenso als Pianistin ersten Ranges gefeiert wurde. Ab 1836 finden sich Tagebucheintragungen Clara Wiecks über Marie Pleyel, meist ironische Notizen zu Pleyels männlichen Verehrern, aber auch zu Konzertberichten, von denen sich Clara beeindrucken und etwas einschüchtern ließ. Am 1.12.1839 schreibt Clara in ihr Tagebuch: „Könnte ich doch nur dieses merkwürdige Weib hören und sehen. Jede ihrer Bewegungen soll studiert sein, nach Beendigung eines Stückes bleibt sie auf dem Orchester, spricht mit den Musikern, verneigt sich immer wieder von Neuem, ganz kindlich als wüßte sie gar nicht wie ihr dieser Beifall gebühre, und setzt sich dann an’s Clavier und spielt noch eine Piece.“ (Jugendtagebücher, S. 354 f.). Erst 1851, als Clara Schumann eine Konzertreise nach Belgien unternahm, lernte sie Marie Pleyel persönlich kennen, Clara Schumann hielt in ihrem Tagebuch fest: „Ich freute mich sehr, sie kennen zu lernen, von der ich soviel gehört, und fand mich sehr überrascht durch ihre große Liebenswürdigkeit, in der sie mir so ganz natürlich schien.“ (Litzmann, Clara Schumann, Bd. 2, S. 263).

Vgl. Rita Benton: „(3) (Camille) Marie (Denise) Moke Pleyel“, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, hrsg. von Stanley Sadie, Bd. 19, 2. Aufl., London/New York 2001, S. 923.

Vgl. Clara Wieck, Jugendtagebücher 1827‒1840, hrsg. von Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich unter Mitarbeit von Kristin R.M. Krahe, Hildesheim 2019.

Vgl. Jenny Kip: Artikel „Pleyel, Marie (Camille, Camilla) Félicité Denise, geb. Moke“, in: Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. 2009. Online-Lexikon des Sophie Drinker Instituts, hrsg. von Freia Hoffmann. Online unter: https://www.sophie-drinker-institut.de/pleyel-marie [6.9.2020].

Vgl. Janina Klassen: Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit (= Europäische Komponistinnen 3), Köln u.a. 2009, S. 149‒151.

Vgl. Katharina Mayer-Heimel: Artikel „Marie Pleyel“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. (Stand: 17.4.2018). Online unter: https://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Marie_Pleyel.pdf [10.9.2020].

Vgl. Schumann-Briefedition, Serie I, Bd. 6: Familienbriefwechsel (Briefwechsel Clara und Robert Schumann Bd. III: Juni 1839 bis Februar 1840), hrsg. von Thomas Synofzik und Anja Mühlenweg, Köln 2014, S. 387.

weiterführend: Jenny Kip: Mehr Poesie als in zehn Thalbergs. Die Pianistin Marie Pleyel (1811‒1875) (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 7, hrsg. von Freia Hoffmann), Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg 2010.

(Theresa Schlegel, 2020)