Robert Schumann op. 13

Symphonische Etüden cis-moll op.13
(Erste Fassung von 1837)

Thema. Andante
Etüde I. Un poco più vivo
Etüde II. Moderato
Etüde III. Vivace
Etüde IV. Allegro energico
Etüde V. Scherzando
Etüde VI. Agitato
Etüde VII. Allegro molto
Etüde VIII. Grave
Etüde IX. Presto possibile
Etüde X.
Etüde XI. Con espressione
Etüde XII. Allegro brillante

Im September 1834 komponierte Schumann einige – wie er sie nannte – „pathetische“ Variationen über ein „Thema quasi marcia funebre“ in cis-moll. Dabei wollte er sich bemühen, „das Pathetische, wenn etwas davon [im Thema] drinnen ist, in verschiedene Farben zu bringen“. Ignaz Ferdinand Freiherr von Fricken aus Asch in Böhmen war der Schöpfer dieses zunächst für Flöte gedachten Themas, das er mitsamt einigen eigenen Variationen Schumann zur Beurteilung geschickt hatte. Er konnte freilich nicht ahnen, was Schumann schließlich daraus entwickelte. Der Freiherr war selbst ein Flötist und galt als großer Musikliebhaber und -kenner. Seine Adoptivtochter, Ernestine von Fricken, genoss gemeinsam mit Schumann den Klavierunterricht Friedrich Wiecks in Leipzig. Heimlich hatten sich die beiden jungen Leute im Spätsommer 1834 verlobt. Schon im folgenden Jahr löste Schumann das Verlöbnis wieder auf, nachdem er erfahren hatte, dass seine Braut kein leibliches Kind des Barons war. Dieser von Schumann angegebene Grund muss allerdings als Ausrede betrachtet werden, denn wesentlich stärker trug zu seinem Entschluss bei, dass er sich seiner wachsenden Liebe zu Clara Wieck, der hoch begabten Tochter des gemeinsamen Klavierlehrers, bewusst wurde.

Über das Thema seines „Beinahe-Schwiegervaters“ Fricken komponierte Schumann insgesamt 18 vollständige Variationen sowie eine unvollständige und mehrere Variationen-Incipits. „Mit meinen Variationen steh' ich noch am Finale“, erklärte er dem Freiherrn einige Wochen später. „Ich möchte gern den Trauermarsch nach und nach zu einem recht stolzen Siegeszug steigern u. überdies einiges dramatisches Interesse hineinbringen, komme aber nicht aus dem Moll, u. mit der 'Absicht' beim Schaffen trifft man oft fehl und wird zu materiell.“ Bereits hier wird nicht nur die besondere Stellung des letzten Stückes betont, sondern es deutet sich auch eine zyklische Intention an, der die einzelnen Stücke folgen sollten. Der Kompositionsprozess der Symphonischen Etüden vollzog sich in einer Phase des schumannschen Schaffens, in der er sich formal und strukturell um eine Großform in seinen Klavierwerken bemühte. Stärker als in allen vorherigen Variationenwerken versuchte er daher gerade hier, die Grenzen der Gattung aufzubrechen. Nicht zuletzt erklären sich dadurch auch die unterschiedlichen Bezeichnungen, die er im Laufe der Zeit seinen Stücken gab: „Variations“, „Etudes“, „Fantaisies“. Im selben Zusammenhang steht das mehrfach erfolgte Umordnen von deren Reihenfolge.

Schließlich wählte Schumann zwölf der Stücke aus und ließ sie 1837 drucken. Bereits im Mai des vorausgehenden Jahres hatte der Verleger Haslinger aus Wien die Sammlung 1836 als X Etuden im Orchestercharakter für das Pfte. von Florestan und Eusebius angekündigt. Wie so häufig in seinen frühen Klavierwerken, hatte Schumann selbst die imaginären Figuren Florestan und Eusebius als Urheber angegeben. Diese beiden Gestalten symbolisierten in seinem Denken die kontrastierenden Seiten seines eigenen Charakters. Florestan steht dabei für die trotzige, leidenschaftliche, stürmische und kämpferische Komponente, Eusebius für die lyrische, verträumte, kontemplative und sanftmütige. Vorbilder dieser Gestalten fand Schumann in den Brüdern Walt und Vult aus Jean Pauls 1805 erschienenem Roman Flegeljahre. Nicht nur vom Werk Jean Pauls im allgemeinen, sondern ganz besonders von dessen Hang zu Doppelnatur- bzw. Doppelgänger-Konstellationen war Schumann so fasziniert, dass er lange Zeit selbst damit experimentierte und zahlreiche Fantasienamen für Personen seines Umfelds erfand.
Die letztlich von ihm zum Druck frei gegebene, erweiterte Version seiner Variationen nannte Schumann XII Etudes Symphoniques pour le Piano-Forte und wies ihnen die Opuszahl 13 zu. Nicht zuletzt die Wahl dieser Benennung zeigt, dass Schumann stärker als in allen zuvor komponierten Klavier-Sammlungen hier seine Vorstellungen der großformalen Anlage sowie einer zyklischen Verbundenheit der Einzelstücke realisieren konnte. Sinfonie, Etüde und Variation werden zusammenfasst, da keines alleine den Ansprüchen der Komposition und des Komponisten gerecht geworden wäre. Zwar entspricht der Begriff der Variation dem zu Grunde liegenden kompositionstechnischen Verfahren, erfasst aber nicht den sinfonischen Charakter der durchführungsartigen Verarbeitung, die weit über das Aneinanderreihen einzelnen Variationen hinausgeht. Als letztes tritt der etüdenhafte Aspekt durch die spezifische Geschlossenheit eines jeden Stückes hinzu, indem jeweils eine andere spieltechnische Fertigkeit im Vordergrund steht.

Das schlichte, auf den Freiherrn von Fricken zurückgehende Thema in cis-moll schreitet ganz feierlich und würdevoll einher. Aber schon bald entwickeln sich starke dynamische Steigerungen, die durch hohe pianistische Virtuosität umgesetzt werden. Ab der siebten Etüde weichen die Variationen immer mehr von dem zweimal acht Takte umfassenden Grundriss des Themas ab. Die Klangwirkung des Klaviers nimmt durch die große Akkordfülle tatsächlich orchestralen Charakter an. Einem wirklich sinfonischen Anspruch wird schließlich das ebenso glanzvolle wie dramatische Finale gerecht, in dem sich nur noch entfernte Verwandtschaft zum Thema ausmachen lässt. Gerade diesem Stück hatte Schumann von Anfang an die meiste Aufmerksamkeit gewidmet, um es aus der gesamten Komposition herauszuheben: Bildet es doch keine eigentliche Schluss-Variation, sondern kann als veritabler Finalsatz gelten. Nicht zuletzt zeichnet sich das Finale auch dadurch aus, dass es mit einem völlig neuen Thema in Des-Dur beginnt, bei dem es sich um das Zitat der Romanze „Du stolzes England, freue dich“ aus Heinrich Marschners Oper Der Templer und die Jüdin handelt. Lange Zeit hielt man dies für einen Gruß an die Nationalität des Widmungsträgers von op. 13, William Sterndale Bennett. Dieser junge englische Pianist, Komponist und Dirigent traf im Oktober 1836 zu einem längeren Aufenthalt in Leipzig ein, wo er bald zum schumannschen Freundeskreis gehörte. Erst da entschloss sich Schumann zur Dedikation, komponierte den Finalsatz aber vermutlich früher.

Während die erste, 1837 bei Haslinger in Wien erschienene Ausgabe dem Thema zwölf Etüden folgen lässt, kürzte Schumann sein op. 13 um zwei Etüden für deren zweite, von ihm revidierte Fassung, die er 1852 bei Schuberth & Co. in Hamburg unter dem Titel Etudes en formes de variations veröffentlicht. Die ehemaligen Etüden III und IX fehlen jetzt, möglicherweise aufgrund ihrer enormen technischen Schwierigkeiten. Eine dritte Ausgabe erschien posthum 1861 bei Schuberth & Co. Mit dem Titel Etudes en forme de Variation (XII Etudes Symphoniques pour le Piano-Forte). Hierin sind die Etüden III und IX sowie die „Varianten der vorhergehenden Ausgaben und nicht herausgegebenen Korrekturen des Autors“ aufgenommen. Schließlich wurden weitere fünf, von Schumann selbst nicht publizierte, aber dennoch sehr reizvolle Variationen 1873 durch Johannes Brahms bei Simrock in Berlin veröffentlicht.

Schumann setzte mit den Symphonischen Etüden einen Meilenstein auf seinem Weg zu den späteren großen Instrumentalwerken in zyklischer Form. Darüber hinaus führte kurioserweise ausgerechnet diese, mit seiner ersten Braut Ernestine von Fricken verbundene Komposition, indirekt zur heimlichen Verlobung mit Clara Wieck. Sie bestritt bei einem öffentlichen Konzert am 13. August 1837 in der Leipziger Buchhändlerbörse die Erstaufführung der Symphonischen Etüden in ihrer ersten Fassung und vermittelte Schumann dadurch nach langer, schmerzlicher Trennung ein deutliches Zeichen ihrer Zuneigung. Anschließend ließ Clara ihm noch einen Brief zukommen, der wohl den entscheidenden Anschub zur Aussprechung der Verlobung zwischen den jungen Leuten gab.

(Irmgard Knechtges-Obrecht)