Robert Schumann und die große Form

Julian Caskel, Düsseldorf:
Bericht über die Schumanntagung 2006 in Bonn, in:
Die Musikforschung, hg. von der Gesellschaft für Musikforschung, 59. Jg. 2006, Heft 4


Bonn, 5. bis 7. Mai 2006:
„Robert Schumann und die große Form“

von Julian Caskel, Düsseldorf

Als nunmehr schon viertes musikwissenschaftliches Symposium in der Villa Prieger in Bonn, erneut unter der Leitung von Wolfram Steinbeck und Bernd Sponheuer, durfte diese Veranstaltung wohl endgültig als Teil einer Tradition betrachtet werden. Die Hermeneutik von Schumanns Zugriff auf die großen instrumentalen Gattungen, bei der die Ablehnung der Reduktion des Komponisten auf den Meister allein der lyrisch geschlossenen Formen weniger das zu Beweisende als unbestrittener Ausgangspunkt der Vorträge war, setzte an beim Hermeneutiker Schumann. Bernd Sponheuer (Kiel) analysierte dessen eigene theoretische Positionierung zur Gattung der Symphonie als Postulat der Notwendigkeit eines nachklassischen Stils. Peter Gülke (Freiburg), der auch als Dirigent des Beethoven Orchesters Bonn mit einem reinen Schumann-Konzert zu erleben war, widmete sich dem g-Moll-Fragment als Schumanns „Nullte“ auf der Basis eines Vergleichs der Parallelen des Werks zu Beethovens Eroica, die die Anspruchshöhe der Aneignung der Gattung durch Schumann nachvollziehbar machten.

Den zeitlichen Sprung in Schumanns „symphonisches Jahr“ 1841 vollzog Siegfried Oechsle (Kiel) in einer Analyse der zeitlichen Sprünge innerhalb von Schumanns Vierter Symphonie, deren Binnensätze er als historisches Tableau unter dem Einfluss des spanischen Ritterromans dechiffrierte, um so zwischen verschiedenen Formzeiten im Werkkonzept zu differenzieren. Wolfram Steinbeck (Köln) nahm sich der Sinfonietta op. 52 an und beleuchtete deren Zwitterstellung zwischen Diminution symphonisch-monumentalen Anspruchs und besonders dichter mottothematischer zyklischer Gestaltung. Die mottothematische Konzeption in ihrer eigenen Zwitterstellung gegenüber den Zwängen symphonischer Prozessualität kam dabei als Quelle bewusster musikalischer Selbstreflexion zur Sprache.

Die Betrachtung der Symphonien vollendeten zu Beginn des zweiten Sitzungstages zwei Referate. Hans-Joachim Hinrichsens (Zürich) Blick auf die Zweite Symphonie machte das Beethoven-Zitat des Finales als Kristallationspunkt einer von Beethoven sich explizit abwendenden Finalkonzeption aus. Martin Geck (Dortmund) resümierte Schumanns Weg zur Dritten Symphonie als dessen „Weg ins Freie“. Unter dem Stichwort „Schumann als Erzieher“ behandelte Helmut Loos (Leipzig) die chorsymphonischen Werke, woran die Darstellung des Requiems für Mignon durch Ulrich Konrad (Würzburg) nahtlos anknüpfte. Mit der Nobilitierung der Konzertouvertüren bzw. der Instrumentationskunst (unter dem Ideal: „Kolorit statt Koloristik“) setzten Gerd Nauhaus (Zwickau) und Peter Jost (München) bewusst Akzente gegen besonders hartnäckig als Schwachpunkte des Orchesterkomponisten Schumann kolportierte Züge.

Schumanns einzigartige Verzahnung kleiner und großer Form wie intim-biographischer und öffentlich-virtuoser Werkkonzeption verdeutlichte nachdrücklich Arnfried Edler (Hannover) an der Genese des As-Dur-Mittelteils im Kopfsatz des Klavierkonzerts aus einem selbständigen Rückert-Kanon, ursprünglich gedacht für den Liebesfrühling op. 37. Aus der Dichotomie von Logik der Entwicklung und Logik der Erinnerung als der Fantasie entlehnte subjektiv-verinnerlichte Kategorie des Komponierens versuchte schließlich Berthold Hoeckner (Chicago) nochmals – ebenso konsequent wie anschließend auch kontrovers diskutiert – die besondere Narrativität der Stilistik Schumanns festzumachen.